TU-Professor Mike Schlaich reist von Kapstadt nach Kairo und schreibt ein Buch über „Bauen in Afrika“
Mittwoch, 22.01.2025
Tagebuch einer Bauingenieur-Safari
„Man kann auch mit Salz Straßen bauen!“ Das notiert TU-Professor Mike Schlaich am Ende April 2022 in sein Tagebuch und es ist Tag 45 seiner Bauingenieur-Safari, auf der er von Kapstadt nach Kairo quer durch den afrikanischen Kontinent reist mit der Frage im Gepäck: Wie baut man in den Ländern Afrikas?
1,3 Milliarden Menschen – dreimal Europa
Warum ihn diese Frage antrieb, ein Forschungssemester bei sengender Hitze, sintflutartigen Regenfällen, in Schlamm und auf von Schlaglöchern perforierten rotstaubigen Pisten zu absolvieren und darüber das Buch „Bauen in Afrika“ zu schreiben, ist eine Zahl: 1,3 Milliarden. Nach Prognosen der „World Population Prospects 2024“ der Vereinten Nationen wird die Bevölkerung Afrikas bis 2050 sich um diese Zahl erhöhen. Derzeit leben laut Schätzungen 1,48 Milliarden Menschen in Afrika. „Diese 1,3 Milliarden Menschen werden Wohnungen brauchen, Schulen, Krankenhäuser, Straßen, Brücken, Eisenbahnen, müssen mit Energie versorgt werden, benötigen Zugang zu sauberem Wasser. 1,3 Milliarden Menschen sind das Dreifache der EU-Bevölkerung. Das heißt die gesamte Infrastruktur Europas müsste in den kommenden 25 Jahren in Afrika dreimal neu gebaut werden“, sagt Mike Schlaich. Und dies vor dem Hintergrund, dass bereits jetzt für Millionen von Menschen auf dem Kontinent diese Infrastruktur fehlt. In der Wüste Bayuda im Sudan beobachtet er auf seiner Reise, wie sich die Menschen aus einem Brunnenloch mit Eseln und aus Ziegenhäuten zusammengenähten Säcken mit Trinkwasser versorgen. „Nur 7 Prozent der Bevölkerung haben in Sudan Wasser- und Abwasseranschluss ... und laut UNICEF verfügen in diesem Land nur 53 Prozent der ländlichen Haushalte über Zugang zu Trinkwasserquellen, die innerhalb von 30 Minuten zu Fuß erreichbar sind“, schreibt Mike Schlaich über dieses Land.
Regionale Bedingungen – regionale Lösungen?
Sein Buch „Bauen in Afrika“beruht auf seinem Tagebuch, das er während seines sechsmonatigen Forschungssemesters 2022 durch den afrikanischen Kontinent führte. Das Motiv seiner Reise: Er möchte sich einen Eindruck verschaffen über das Bauingenieurwesen in Forschung, Lehre und Praxis in den zwölf bereisten Ländern des südlichen und östlichen Afrikas, über Brücken, Straßen, Gebäude, Wohnhäuser. Er sucht Antworten auf die Fragen: Gibt es einen jeweils landeseigenen Bauingenieur-Ansatz, der auf den regionalen Bedingungen (Geografie, Klima, Materialien, Bautraditionen) fußt und sich dem prognostizierten Bevölkerungswachstum stellt? Werden Nachhaltigkeitsfragen behandelt? Spricht man im jeweiligen Land von einer Ingenieurbaukunst, also von einem Bauingenieurwesen mit formal und technisch anspruchsvollen Bauwerken?
Kurzfristige Baulösungen aus China
„Bauen in Afrika“ gliedert sich in drei Kapitel: Die Einleitung ist ein Abriss über Afrikas Baugeschichte. Im reich bebilderten zweiten Kapitel „Tagebuch“ nimmt er die Leser*innen mit zu ausgewählten Stationen seiner Bauingenieur-Safari.
Viele Brücken, die er passiert und technisch akribisch beschreibt, stammen aus der kolonialen Zeit. Neue werden oft schnell von chinesischen Firmen gebaut. China „bedient“ die Notwendigkeit, dass diese Länder infrastrukturell entwickelt werden müssen, wenn auch mit unterschiedlicher Dringlichkeit. Denn, so beobachtet er, und Zahlen der Weltbank über den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Infrastruktur bestätigen ihm seine Beobachtung, wo Straßen und Schienen vorhanden sind, dort geht es den Menschen besser. Den Kriterien für Nachhaltigkeit und ressourcenschonendes Bauen dagegen halten die „chinesischen“ Brücken, die er sah, nicht stand und seinen ästhetischen Ansprüchen an eine Brücke genügen sie schon gar nicht.
Sprung über das fossile Zeitalter hinweg
Sein Blick auf die koloniale und postkoloniale Zeit und auf die Gegenwart des Bauens in den bereisten Ländern, seine Beschreibungen des Erlebten, das Kondensat seiner Gespräche mit Wissenschaftler*innen, Studierenden und Bauschaffenden sowie seine umfänglichen nachträglichen Recherchen verweben sich im dritten Kapitel zu seinen „Überlegungen“ über die Zukunft des Bauens auf dem afrikanischen Kontinent. Es sind Überlegungen zu sieben Themen: Universitäten, Solarenergie, Beton, Brückenbau, Straßen und Schienen, China sowie Wohnungsbau. So habe Afrika das Potenzial das fossile Zeitalter zu überspringen angesichts unbegrenzt zur Verfügung stehender Sonnenenergie. Überraschend und interessant sind seine Überlegungen, wie ausgerechnet der in Verruf geratene Beton „der Baustoff für die Zukunft Afrikas“ werden könnte und warum er, der Brückenbauexperte, es überlegenswert findet, künftig vielleicht nicht jede Brücke zu bauen. Die Fehler des globalen Nordens im Brückenbau in Afrika zu wiederholen, dafür sieht er keinen Grund.
Was das Buch neben dem Kenntnisreichtum lesenswert macht, sind ebenso die aufwendig recherchierten, hochinformativen, anschaulichen Grafiken und der tastende, fragende Ton, der unkonventionelles Denken zum Thema „Bauen in Afrika“ offenbart.